Autor der "Erzählungen von der Alhambra"
Washington Irving
Im Jahr 2009 jährte sich zum 150. Mal der Todestag des
amerikanischen Schriftstellers WASHINGTON IRVING
(1783-1859). Sein bekanntestes Werk ist The Tales of the Alhambra, das im Jahr 1832 erschien
und einen Siegeszug um den ganzen Erdball antrat. Durch die Erzählungen von der
Alhambra wurde der Maurenpalast in Granada, die ehemalige Residenz der „Könige der Alhambra“, wie die muslimischen
Herrscher der Nasridendynastie poetisch genannt werden, weltberühmt. Die Erzählungen wurden in alle Weltsprachen
übersetzt und sind inzwischen längst zum Kultbuch für jeden Andalusienreisenden avanciert. Es ist zu einem großen Teil
auch diesem Werk zu verdanken, dass die arabische Welt, die sich nur langsam von den politischen Erschütterungen der
osmanischen Eroberung erholte und auf der Suche nach einer neuen Identität war, das verlorene „Paradies al-Andalus“
wiederentdeckte. Im 20. Jh. widmeten die berühmtesten arabischen Literaten und Dichter der untergegangenen,
maurischen Hochkultur in Spanien eine Fülle dramatisch-nostalgischer Prosatexte und sehnsuchtsvoller
Lyrik.
Washington Irving gehört zu jener amerikanischen Autorengruppe, die erstmals den Europäern zeigte, dass die
ehemaligen Pioniere und Kolonisten in Nordamerika nicht nur ihre politische und ökonomische Freiheit angestrebt hatten,
sondern dass sie auch in kultureller Beziehung unabhängig sein wollten. Als Schriftsteller steht er gleichwertig neben
seinem Landsmann und Zeitgenossen James Fenimore Cooper, doch während dieser hauptsächlich lokale Verhältnisse und
volkstümliche Eigenheiten seines Mutterlandes behandelt, schreibt Irving mit Vorliebe von fremden Ländern und
ermöglicht dabei einen interessanten Einblick in das Fühlen und Denken, Tun und Lassen ihrer Bewohner. Mit den beiden
genannten Autoren begann im angelsächsischen Amerika eine dynamische Literaturepoche, die ungeahnt reiche Früchte
hervorbrachte. Irving ist -so kann man wohl sagen- ein typischer romantischer Erzähler und ein Meister der
dichterisch entworfenen Biographie. Aus allen seinen Arbeiten spricht das einfache Wesen, der offene Charakter
und die liebenswürdige Bescheidenheit des Verfassers, der zuweilen Funken jenes köstlichen Humors sprühen lässt, der
seine Schöpfungen auszeichnet.
1803 kam der junge Amerikaner erstmals nach Europa. Er bereiste Südfrankreich und Sizilien, hielt sich in Paris
oder London auf, bis er zwei Jahre später wieder in die Heimat zurückkehrte. Beim Ausbruch des Krieges mit dem
Mutterland meldete er sich 1812 freiwillig und zeichnete sich durch Umsicht und Tapferkeit derart aus, dass man ihn
zum Oberst beförderte. Als Vertrauensmann seiner älteren Brüder, die in New York zu den wohlsituierten Kaufherren
zählten, übersiedelte er nach Kriegsende nach England, um dort alte Geschäftsverbindungen wieder anzuknüpfen und zu
festigen, und widmete sich dort Import- und Exportgeschäften. In den Mußestunden besuchte er Dörfer und
Gehöfte, Städte und Schlösser und zeigte seinen Landsleuten in Nordamerika die Heimat ihrer Ahnen in gefühlvollen
Schilderungen und fließendem Erzählstil in The Sketch Book of Geoffrey Crayon. Berühmt sind darin die Erzählungen
Rip Van Winkle, oder die Legende von Sleepy Hollow, sie gehören heute zur amerikanischen Volksliteratur.
Von England aus bereiste er Frankreich, Deutschland -der Rhein mit seinen bergigen Rebenufern und den stolzen und
trutzigen Burgruinen, die alten Städte, die ehrbaren deutschen Sitten und köstlichen Bräuche, all das begeisterte
ihn- und später auch Spanien, wo er auf Einladung des amerikanischen Gesandten in Madrid gründliche Archivstudien
vornahm, die er in den phantasievollen Werken The History of the Life and Voyages of Christopher Columbus
und The Voyage and Discoveries of the Companions of Columbus schriftstellerisch niederlegte. Er durchforschte
staatliche und private Bibliotheken, Aktenstücke, Chroniken, Handschriften und Stadtarchive; als Bewunderer der
arabischen Kultur und hingerissen von der Blütezeit der Mauren in Spanien, schrieb er die Chronik der Eroberung
Granadas (1829). Zur Erholung und auf der Suche nach neuen Eindrücken, durchstreifte Irving Andalusien, besuchte
romantische Städte, alte alcazabas und Wachttürme an der einstigen maurisch-kastilischen Grenze im wilden Gebirge von
Ronda; er teilte seinen Imbiss mit ehrsamen Bauersleuten und trank mit verwegenen Paschern Landwein in obskuren Schenken.
Ein Jahr lang bewohnte er eine Zimmerflucht in der Alhambra von Granada, sammelte dort maurische Legenden und
beobachtete von von seiner hohen Warte aus mit Vorliebe das Alltagsgeschehen im darunter gelegenen Viertel und die
Menschen auf der Flaniermeile am Fluss Darro.
Nach siebzehnjähriger Abwesenheit war er 1832 wieder in New York. Dort veröffentlichte er mehrere interessante Arbeiten,
Skizzen und Biographien und hatte große Pläne. Im selben Jahr erschien in London sein Werk The Alhambra: A series of
tales and sketches of the Moors and Spaniards, eine Sammlung von maurischen Legenden und Skizzen über Andalusien. Sie ist
heute als The Tales oft he Alhambra – Die Erzählungen von der Alhambra bekannt. Sein schriftstellerisches Wirken wurde
jäh von der Nachricht unterbrochen, dass er zum Gesandten und außerordentlichen Botschafter in Madrid ausersehen war.
Der nicht mehr ganz junge Mann folgte dem Ruf des Vaterlandes und trat 1841 seinen heiklen Posten dort an, wo
nicht gerade die angenehmsten, politischen Zustände herrschten. Er erwies sich als glänzender Diplomat und
erfüllte die ihm anvertrauten Aufgaben mit Charme und Feingefühl. Doch bald war er der Politik überdrüssig und bat
um seine Entlassung, die ihm 1845 bewilligt wurde. Wieder daheim, ging er an seine letzte und größte Arbeit, deren
Vollendung ihm, dem Patrioten, dem tapferen Soldaten und geschickten Diplomaten besonders am Herzen lag: Die
Biographie Washingtons, des Siegers im amerikanischen Freiheitskampf. Mit diesem Werk in 4 Bänden krönte und
beschloss Irving seine Tätigkeit und starb bald nach Veröffentlichung des letzten Bandes am 28. November 1859.
Die Vision Washington Irvings vom damaligen Europa oder anderen Themen, wie der Verfolgung der nordamerikanischen
Indianer, ist romantisch idealisiert. In seinem Essay Traits of Indian Character, sieht er die Indianer ausnahmslos als
edle Ureinwohner, die Erzählungen der Alhambra und die Chronik der Eroberung von Granada geraten zu einem
nostalgischen Loblied auf die maurische Hochkultur in Spanien. Dennoch scheute er sich nicht gegen den Strom zu
schwimmen: In jedem der Werke wird deutlich, dass er die barbarische Ausrottung dieser Kulturen verurteilt.
Berühmte und angesehene Männer aller Nationen zollten Washington Irving Anerkennung und Bewunderung, unter ihnen
auch Alexander von Humboldt oder Charles Dickens, die des Schriftstellers glänzende Darstellungsgabe hoch schätzten.
Allgemein bekannt sind auch seine Skizzenbücher, in denen jede Seite Wärme und Poesie atmet und wo in farbenfrohen
Strichen figurenreiche Bilder aus dem Volksleben gezeichnet werden. Mit The Tales of the Alhambra – Die Erzählungen von
der Alhambra wurde Washington Irving weltberühmt, es sind literarische Gemälde voller südlicher Pracht und Glut,
kunstvolle Miniaturmalereien, ausgeführt mit höchstem, schriftstellerischem Geschick.